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"Was ist nur los in Niedersachsen?"

Gastbeitrag des israelischen Botschafters "Was ist nur los in Niedersachsen?"

Ein Seminar mit antisemitischen Inhalten an einer Hochschule in Hildesheim, eine Straßenabstimmung mit dem Slogan „Israel ist illegal“ in der Delmenhorster Fußgängerzone – „Was ist nur los in Niedersachsen?“, fragt sich Yakov Hadas-Handelsman, Israels Botschafter in Berlin. Wir veröffentlichen seinen Kommentar als Gastbeitrag.

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Yakov Hadas-Handelsman

Quelle: dpa

Sie waren zufrieden mit dem Ergebnis und schickten Glückwünsche nach Delmenhorst. Aktivisten einer sogenannten „religiös-politischen“ Organisation hatten im November in der örtlichen Fußgängerzone einen Tisch aufgebaut, um eine Abstimmung über die Zukunft des jüdischen Staates abzuhalten. Um es einfacher zu machen, nahmen sie das Ergebnis vorweg: „Israel ist illegal“, dieser Slogan stand gut lesbar auf dem Stand. Schließlich stimmte die Mehrheit dafür, dass der Staat Israel verboten werden müsse, wie später im Internet zu lesen war. 28 Bürger gaben demnach ihre Stimme dafür, dass Israel beseitigt werden müsse.  Immerhin 21 Bürger stimmten, dass Israel bleiben dürfe.

In einer Fußgängerzone mitten in Deutschland war also Folgendes geschehen: Einem legitimen und demokratischen Staat wurde das Existenzrecht abgesprochen - und nicht wenige Leute machten mit. Nur kurz die wichtigsten Fakten: Der Staat Israel wurde 1948 auf Beschlusses der Vereinten Nationen gegründet, Juden hatten in diesem Gebiet schon immer gelebt und in seit mehr als 2000 Jahren ging es in ihren Gebeten um eine Rückkehr nach Jerusalem. Aber anstatt damals die Teilung des Gebietes  und damit auch einen Staat Palästina zu akzeptieren, griffen die arabischen Nachbarstaaten Israel immer wieder an. Mit dem erklärten Ziel, Israel auszulöschen. Und so wünschen es sich wohl auch diejenigen, die Israel in ihrer Umfrage als  „illegal“ bezeichnen.

Was ist nur los in Niedersachsen? Delmenhorst ist leider kein Einzelfall. An der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hildesheim lief jahrelang ein Seminar mit antisemitischer und antiisraelischer Propaganda. Die Hochschulleitung bezeichnete das als Freiheit der Wissenschaft. Es brauchte erst zwei Gutachten um klarzustellen, dass antisemitische Hetze nichts mit Wissenschaft zu tun hat. Und an der Universität in Göttingen sollte kürzlich eine Ausstellung zu Flucht und Vertreibung der Palästinenser im Jahr 1948 stattfinden. Eine Ausstellung, die schlicht auf falscher Geschichtsschreibung basiert. Proteste von Studierenden vermochten die Ausstellung zumindest zu verschieben.

Schauen wir uns weiter in Niedersachsen um. In Oldenburg hetzte ein Lehrer gegen Israel, und zwar ganz offiziell; in einem Magazin der Gewerkschaft GEW. Dieser Lehrer verbreitete öffentlich auch den Vorschlag, Israel nach Baden-Württemberg zu verlegen. Aber das ist noch nicht alles. Ebenfalls in Oldenburg wollten die Organisatoren einer Gedenkveranstaltung an die Novemberpogrome 1938 den Teilnehmern untersagen, Flaggen mit Davidstern mitzubringen. Laut Medienberichten befürchteten die Organisatoren eine „aufgeheizte Stimmung“ aufgrund der Aktivitäten der Anti-Israel-Kampagne „BDS“, die übrigens ebenfalls Israel das Existenzrecht abspricht, auch wenn das längst nicht alle Unterstützer verstehen.

Noch mal langsam, zum Mitschreiben: Bei einer Veranstaltung zum Gedenken an die Pogrome, mit denen 1938 die Entrechtung und Ermordung von sechs Millionen Juden ihren Lauf nahm, sollten laut Veranstaltern keine Flaggen mit Davidstern mitgebracht werden. Das könnte schließlich sogenannte „Israelkritiker“ provozieren und das Gedenken stören.

Wenn ich solche verqueren Argumente höre, mache ich mir Sorgen. Gewiss, nicht immer ist die Lage so eindeutig wie bei der jener „Abstimmung“ in der Fußgängerzone in Delmenhorst, wo offen gegen das Existenzrecht des jüdischen Staats gehetzt wird. Und doch passen die hier geschilderten Ereignisse in Niedersachsen nur allzu gut zur aktuellen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung „Gespaltene Mitte - Feindselige Zustände“, die belegt, dass Antisemitismus in Deutschland inzwischen vor allem unter dem Deckmantel der Israel-Kritik verbreitet ist. So stimmten laut Umfrage erschreckende 40 Prozent der Befragten diesem Satz ganz oder teilweise zu: „Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat.“ Das entlarvt, worum es hier geht: nicht um Kritik an der Politik Israels.

Denn Kritik an der Politik aus Jerusalem ist in Deutschland an der Tagesordnung und auch in Israel selbst. Mit „Israelkritik“ gibt es in Deutschland dafür sogar einen eigenen Fachbegriff. Mir ist übrigens kein anderes Land bekannt, für das es ein solches Wort gibt. Aber das hier ist eine andere Dimension. Israel wird als Vorwand genutzt, gegen Juden zu sein. Und zwar, weil es Juden sind.

Oder spreche ich hier etwa gegen Meinungsfreiheit? Wenn demnächst eine Initiative in der Fußgängerzone darüber abstimmen lässt, ob Deutschland wieder eine Diktatur werden soll - und das allgemein als Ausdruck der Meinungsfreiheit akzeptiert wird, dann will ich aufhören, mich zu beklagen. Oder stellen wir uns vor, demnächst stimmen Deutsche darüber ab, ob Muslime in Deutschland leben dürfen. Oder ob Polen ein Existenzrecht hat. Wenn all das unter Meinungsfreiheit fällt, dann beschwere ich mich nicht mehr.

Aber reden wir nicht nur über Israel. Niedersachsen hat ein viel größeres Problem, und das geht alle etwas an. Antisemitismus existiert nie alleine, dahinter steht immer die Ausgrenzung von Minderheiten. Juden sind oft die ersten, aber nie die letzten.

Der Ministerpräsident von Niedersachsen, Stephan Weil, hat selbst gezeigt, welche Haltung hier gefragt ist. Im Frühling traf er auf einer Delegationsreise in Teheran den ehemaligen iranischen Präsidenten, Ali Akbar Rafsanjani. Rafsanjani äußerte antisemitische Ansichten. Ministerpräsident Stephan Weil widersprach. Er ließ die Lügen nicht gelten, sondern stellte sie richtig. Das Gespräch endete dann schneller als geplant. So etwas muss man aushalten.

Es ist nicht überraschend, wenn das Regime in Teheran solche Töne anschlägt. Aus Niedersachsen müssen uns solche Stimmen aber überraschen. In Deutschland ist es auch aufgrund der Geschichte eine noch viel größere Schande, wenn Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit mitten in der Fußgängerzone zelebriert werden. Es ist wichtig, dass die Freunde Israels bereits protestieren. Aber gefragt sind alle Bürger in Niedersachsen, dagegen aufstehen. Am Ende geht es um die Freiheit der gesamten Gesellschaft.

Von Yakov Hadas-Handelsman

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